Kupplung optimieren

  • Hallo,


    nach langer Zeit war ich mal wieder fleißig und habe Grundlagenforschung betrieben, inspiriert durch diese Threat:
    längerer Kupplungsausrückhebel


    Admin: Wäre evtl sinnvoll nach FAQ zu verschieben :daumenhoch


    Nun, hier mal die Erkenntnisse:


    *Technik*
    Die RS/RGV hat prinzipiell eine "normale" Nasskupplung wie in vielen Motorrädern verbaut. Eine Besonderheit die ich nach Studium diverser Ersatzteilkataloge gefunden haben betrifft diese seltsame Tellerfederkonstruktion im Korb. Diese ist mir nur bei RGV/RG500 über den Weg gelaufen, Viertakter mit den selben Kupplungsbelägen wie RGV haben diese nicht verbaut. Das legt den Schluss nahe dass das gemacht wurde um die Zweitakter "fahrschultauglich" zu bekommen. Nötig ist dieses System nicht, ich finde es in Summe sogar kontraproduktiv, dazu später mehr.


    *Problem*
    Das Reibpaket aus Reib- und Stahlscheiben wird durch die Kupplungsfedern zusammen gedrückt. Die Federn sind relativ schwach vorgespannt. Ich müsste die Schraubenlänge messen, aber zum Überschlagen 10mm. Das bedeutet für den Verschleißfall 10% weniger Anpressdruck wenn etwas um 1mm verschleißt, sei es Scheiben oder auch die Federn. In der Praxis haben fast alle Motoren irgendwann das Problem der rutschenden Kupplung, vor allem getunte mit mehr Drehmoment.
    Ein großes Problem bei dieser Konstruktion sehe ich im Verschleiß: Die Tellerfeder arbeitet sich in die anliegende Stahlscheibe ein, wodurch die Dicke (und damit die Vorspannung der Kupplungsfedern) mit der Zeit abnimmt. Dann neigt die Kupplung zum Schleifen. Darüber hinaus muss der Abrieb ja irgendwo hin, schwimmt also im Getriebeöl herum und wird fröhlich durchs Getriebe gepumpt da es ja keinen richtigen Ölfilter gibt!


    *Getriebeöl*
    Die Ausprägung des Problems hängt auch vom verwendeten Getriebeöl ab. natürlich darf kein Autoöl verwendet werden, ich gehe von der Verwendung von Motorrad-Motoröl (zB 10W-40) oder Getriebeöl (zB 80W-90) aus. Dabei ist zu bedenken dass Getriebeöle bei der Viskositätsangabe einen Offset von 60 haben, also 80W90 ist gleich 20W30.
    Nach meinen Versuchen neigen Getriebeöle weniger zu rutschender Kupplung als die Motoröle, dafür trennt die Kupplung bei kaltem Motor übelst schlecht, und das Getriebe schaltet sich generell etwas härter als mit Motoröl. Als guten Kompromiss zwischen Getriebeschaltbarkeit und Schmierung (API GL4) sehe ich das Motul 10W40 Getriebeöl. Aber falls es knapp hergeht: die Kupplung rutscht damit definitiv mehr als mit einfachem 80W90 Getriebeöl!


    *einfache Lösung*
    Die Lösung bei Kupplungsproblemen ist meist die Beseitigung von Verschleiß:
    - Kupplungsfedern setzen sich und lassen nach -> erneuern
    - Die Stahlscheibe hinten im Korb hinter dem Draht ausbauen, entgraten und umdrehen oder noch besser: ersetzen. denn auf der zerfrästen Seite läuft ja dann ein Kupplungsbelag


    *Pfuschlösung*
    Manch einer denkt sich - Kupplung schleift da mache ich einfach verstärkte Federn rein. Ja, funktioniert, aber mit Kollateralschäden: Höhere Belastung des Ausrückmechanismus, höhere Handkraft. Gegen diese dann der nächste Geistesblitz: langer Kit-Hebel. ja, funktioniert auch, aber schlecht. Da das Einrücken der Kupplung so verschliffen ist hat man mit dem Hebel einen langen Bedienweg wenns nicht krachen soll. Allenfalls in Kombination mit eingelaufener Tellerfeder könnte das gescheit klappen...


    *gute Lösung*
    Zählen wir alle bisherigen Fakten zusammen: Kupplung braucht mehr "Biss" und die Tellerfeder(fehl-)Konstruktion soll raus. Das passt perfekt zusammen, denn dann kann man die Tellerfedergeschichte durch ein weiteres Reib-/Stahscheibenpaar ersetzen. Dadurch hat man eine auf 8/7, also 114% gesteigere Kraftübertragung, ohne dass die Handkraft zunimmt. Dazu wird für meinen Geschmack die Dosierbarkeit ohne den Kram eher besser/verlässlicher und "on Top" kann man nun auch wunderbar den langen Kithebel verwenden um die Handkraft zu verringern und die Dosierbarkeit wieder etwas weicher zu machen. Die Kupplung kann so auch mein 10 jähriger ziehen, perfekt :cheers:


    *Bauanleitung*
    ich mache es relativ kurz, Kupplung aus/ einbauen setze ich als bekannt voraus (WHB).
    - Kupplung freilegen
    - hinten im Korb den Draht rausfummeln und das ganze Gelumpe rausholen
    - Neues Reibpaket einsetzen. Dabei muss man zwingend mit einer Reibscheibe anfangen, da die Nuten im inneren Korb nicht ganz nach hinten gefräst sind! Das Reiben auf dem Alu-Korb ist unproblematisch, bei anderen Motorrädern ist das auch, und vorne an der Druckplatte ist auch auf Alu.
    - Also insgesamt 8 Reib- und 7 Stahlscheiben einsetzen
    - Nun wäre man eigentlich fertig, muss aber eine Entscheidung treffen - kleiner Exkurs:
    Die Tellerfederkonstruktion ist zwischen 6mm (neu, ungespannt) und 5mm ("auf Block") dick. Eine zusätzliche Scheibenkombination ist aber 3,0 + 1.5 = 4.5mm dick. In diesem Fall ist also der Anpressdruck der Scheiben deutlich geringer als Serie. Kupplung geht leichter und die zusätzliche Scheibe *kann* das evtl kompensieren. Mit neuen Kupplungsfedern evtl eine Option, bei mir mit Federn am Verschleisslimit und mit getuntem Motor war das aber zu wenig Anpressdruck. Verbaut man als zusätzliche Stahlscheibe eine aus der Tellerfederkonstruktion mit 2.0 statt 1.5mm ist man bei 5.0mm, was einer eingelaufenen Tellerfederkonstruktion entspricht. Sollte in den meisten Fällen schon laufen. Baut man 2 dicke Scheiben ein hat man 5.5mm, bei 3 logischerweise 6,0mm etcetc. Aber: bei der Dicke muss man aufpassen dass die Druckplatte noch richtig mit ihren Zacken in den Korb greift, also würde ich nicht über 6.0mm gehen! Für 6.0mm gibt's dann eine ganz einfache und patente Lösung: Man macht das ganze Paket mit den "normalen" dünnen Stahlscheiben und legt am Ende vor der Druckplatte nochmal eine Stahlscheibe ein. Macht 6.0mm, also so viel wie eine neue Tellerfederplattengeschichte hat, deshalb unkritisch. Das hat auch den Vorteil dass die Druckplatte nur noch drücken muss und die Drehkräfte von der Stahlscheibe aufgenommen werden. Das ist auch kein "Pfusch", bei Ducati Trockenkupplungen macht man das auch so, da die Beläge trocken sonst das Alu der Druckplatte "verschmieren".
    - lange Rede kurzer Sinn: Für die sorglos-Lösung am Schluss mit einer Stahlscheibe aufhören (die 8.), meist hat man ja eh genug Teile rumliegen...
    - Druckplatte montieren und alles wieder zusammen bauen
    - Langer Kupplungshebel montieren (gibts als Suzuki Originalteil, in dem oben verlinkten Threat ist ein Link) und Spiel sauber einstellen. Viola :smiling_face_with_sunglasses:
    - Noch eine Kleinigkeit: Mit dem langen Hebel kommt der Zug etwas schräg aus der Tülle, das sollte man gut schmieren und verschleisstechnisch im Auge behalten. Ich habe eine Markierung an die Schraube gemacht und verstelle nur ganze Umdrehungen, dann schleift sichs evtl irgendwann ein. Und: Versteller am Bremshebel oben ganz reindrehen und unten einstellen, dann ist der Winkel besser.


    Falls noch Fragen: melden :teacher:


    Gruß J-C


    Ach ja: Ich habe neue Reibscheiben gekauft, da 8 benötigt werden 2 Pakete (EBC). Falls jemand zum Umbauen eine einzelne benötigt kann ich die gegen einen Unkostenbeitrag beisteuern :smiling_face_with_sunglasses:

    Schieber- , Getriebe- , Motorgehäuse- und Kurbelwellenkiller

    3 Mal editiert, zuletzt von JCN ()

  • Wieder mal so ein Beitrag von JC den man hier sofort anpinnen sollte


    Klasse geschrieben, danke dafür :respekt: :daumenhoch

  • Sehr gut geschrieben und echt hilfreich! Vielen Dank!

  • Danke :red_heart:
    Hab mir ja auch Mühe gegeben :smiling_face_with_sunglasses:


    Was ich vergessen habe: Für einen kompletten Umbau benötigt man zusätzlich 1 Reibscheibe und 2 (!) Standard-Stahlscheiben mit 1.5mm Dicke.
    Man könnte auch darüber nachdenken zum Gewicht sparen Alu- "Stahlscheiben" zu nehmen, habe aber keine Erfahrungen damit.
    Auch ließen sich die Körbe bestimmt noch erleichtern.


    Gruß J-C

    Schieber- , Getriebe- , Motorgehäuse- und Kurbelwellenkiller

  • Bin gerade über einen Thread aus 2012 gestolpert, schön, dass J-C seine Meinung geändert hat, und die Kupplung optimiert hat :daumenhoch


    2012:


    Zitat

    Original von SKD
    Weil das Teil einfach ein Konstruktionsschwachpunkt ist. Selbst wenns eine Weile hält und vlt länger als ich mit dem Teil fahre, finde ich es sinnvoller dass Problem zu beheben als nur die Symptome. Und wenn es Leute gibt, die das vielleicht schonmal getan haben, dann kann man ja zumindest mal fragen.
    Die Dosierbarkeit der Kupplung interessiert mich sowieso nicht so sehr, da ich damit eh nie in der Stadt unterwegs bin. Außerdem denke ich dass sich generell mit einer Reibscheibe (statt diesem federring-gedöns) die von der Kupplung übertragbare Leistung steigert.


    Also wer hat Erfahrung damit und kann mir was dazu sagen?

  • War ja klar dass einer die ollen Kamellen ausgräbt :smiling_face_with_sunglasses: :cheers:


    Prinzipiell bin ich auch der Meinung dass man nicht überall rumbasteln muss. Nachdem aber meine Kupplung trotz neuer Tellerfederscheibe Probleme gemacht hat musste was passieren :daumenhoch


    Nachtrag Streng genommen war meine Aussage von damals übrigens nicht falsch: Ersetzt man das Tellerfedergedöns durch eine Reibscheibe dann bringt das nichts. Wenn schon Reib- plus Stahlscheibe. Und verbastelte Karren gibt's wahrlich genug...


    Gruß J-C

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    Einmal editiert, zuletzt von JCN ()

  • Lol, ich hab meine Meinung übrigens auch geändert und neulich auforiginal umgebaut mit neuen EBC Reibscheiben und billigem Motoröl. Die Kupplung ist jetzt wiedet sooo schön smooth :)